Ich möchte euch gerne von meinen Jugendlichen erzählen, einer ganz normalen Oberstufe respektive einer bunten Mischung an 11-15 Jährigen mit ganz vielen unterschiedlichen Stärken, die weit über reine Rechtschreibe- und Mathematikfähigkeiten hinaus gehen. Was passiert, wenn ich meine Schülerinnen und Schülern Verantwortung übergebe? Wenn ich Ihnen etwas zutraue? Wenn ich nach Wegen suche, sie eine direkte Sinnhaftigkeit erleben lassen zu können?
Wer da erzählt ist Rahel Schelb, Oberstufenlehrperson an der Schule Gsteigwiler im Kanton Bern.
Kompetenzorientiertes Lernen wollte sie nicht länger zu einer nebulösen Psydoumsetzung verkommen lassen. Kompetenzen fürs Leben - war sie überzeugt - werden im Leben erworben. So entschied sie sich mit ihren Jugendlichen zusammen den Schulalltag einen Halbtag pro Woche in den Wald zu verlegen.
Erfahrungsbericht aus dem Waldschulzimmer
Was passiert also, wenn ich meine Schülerinnen und Schülern #Verantwortung übergebe? Wenn ich Ihnen etwas zutraue? Wenn ich nach Wegen suche, sie eine direkte #Sinnhaftigkeit erleben lassen zu können?
Diese Frage hat mich dazu geführt, seit diesem Sommer einen Halbtag des Unterrichts ins Freie zu verlegen. Gemeinsam mit den Jugendlichen richten wir uns da nun unser eigenes “Draussen-Klassenzimmer” ein. Wir haben uns im Wald auf den Boden gesetzt, uns umgeschaut und gemeinsam überlegt, was wir dazu brauchen.
Die einen haben darauf eine Feuerstelle eingerichtet. Über dem Feuer kochen sie nun jeweils Tee. Oder warmen Punsch, wenn es kalt ist. Oder eine Suppe. Und nachdem wir festgestellt haben, dass Feuer machen mit trockenem Holz besser klappt, sind einige gerade dabei, einen Unterstand für den Holzvorrat zu bauen.
Andere überlegten sich, wie sie am besten ein Dach konstruieren können, damit wir im Trockenen sind, wenn es regnet. Eine Gruppe ist dabei, ein Toilettenhäuschen zu zimmern. Und nachdem meine Jugendlichen befanden, dass ein Zvieri jeweils doch ganz schön wäre und sich die Frage stellte, wie sie dafür zu Geld kommen, haben einige in ihrer Freizeit kurzerhand Muffins und Brownies gebacken und im Dorf verkauft.
Was, wenn wir als Schulen versuchen, unseren Jugendlichen wieder mehr #Selbständigkeit zuzutrauen? Da ist so viel Potenzial. Und meine Jugendlichen machen mir wöchentlich vor, was möglich ist, wenn man sie nur lässt…
Nach einem halben Jahr Waldunterricht sind die Rückmeldungen meiner Jugendlichen ausnahmslos positiv. Und dies, obwohl es auch viele nasse und kalte Tage gab.
Und was haben Waldtage mit dem Lehrplan zu tun?
Im neuen Lehrplan (Schweizer Lehrplan 21) gibt es den Bereich überfachliche Kompetenzen und Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Darauf liegt mein Fokus an diesem Halbtag.
Ein beträchtlicher Teil des Waldhalbtages besteht aus Projektarbeit. Zu Beginn tragen wir zusammen, wer wo dran ist, was der Plan ist für heute. Die Gruppen organisieren sich und arbeiten an ihrem Projekt. Lehrreich finde ich die Reflexion am Ende des Halbtages: Was haben wir heute geschafft, wie sind wir vorangekommen? Was war herausfordernd, was für Wege haben wir gefunden, wie soll es weitergehen.
Ein ganz grosses Anliegen ist mir das Pflegen einer #Fehlerkultur. Eigene Erfahrungen aufgrund eigener Entscheidungen machen zu können. Zu scheitern und lernen, daraus Erfahrung statt das Gefühl von Versagen mitzunehmen.
Und bei solchem (kompetenzorientierten) Lernen gibt es im Gegensatz zum fachbezogenen Wissen ja auch kein starres Richtig-falsch-Schema. So sind also Fehler sowie Erfolge eine Erfahrung. Ziel ist die Reflexion und das Lernen daraus, nicht die Note.
Ich mache die Erfahrung, dass es hilfreich ist, Fragen in dem Moment aufzugreifen, in dem sie auftauchen. So ergeben sich regelmässige Inputs aus aktuellem Anlass jeweils fast von alleine: Wenn sich beispielsweise ein Jugendlicher fragt, weshalb eigentlich die Blätter nun alle so farbig werden. Da sind wir dann ganz rasch bei physikalischen Gesetzmässigkeiten von Licht und Farben. Oder der Boden ist voller Laub. Wieso verliert ein Baum eigentlich seine Blätter? Und was tun die Blätter denn so, ausser schön auszusehen? Und plötzlich hat die Abholzung des Regenwaldes etwas mit uns zu tun – und der Weg geht über das «zufällige Drüberstolpern» zum Sinn und Zweck eines Baumes, über die Photosynthese bis zu grossen philosophischen Fragen wie dem Umgang mit unserem Planeten.
Und wenn meine Jugendlichen sich mit einem Mal für etwas interessieren, von dem es im üblichen Schulrahmen oft viel schwerer fällt, ihre Aufmerksamkeit dafür zu wecken – da geht mir als Lehrkraft das Herz auf.
Fazit
Als Lehrkraft ist es eine meiner Hauptaufgaben, mich damit auseinander zu setzen, was Jugendliche zum Lernen brauchen. Wie kann ich ihnen geeignete Lernorte bieten, damit für sie ein optimales Lernen und Arbeiten, aber auch eine gesunde Entwicklung ihrer Persönlichkeit möglich ist, damit sie ihr Potential entfalten können?
Ich glaube es ist etwas vom Wertvollsten, wenn einem Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, etwas aktiv zu tun, etwas beizutragen, Verantwortung zu übernehmen. Und zwar ruhig etwas Anspruchsvolles. Wenn ich ihm das zutraue, ihn ernst nehme, besteht ein gleichwürdiger Dialog. Ist auch seine Meinung gefragt und sein Rat gewünscht, erlebt ein Jugendlicher, dass sich etwas verändert, weil er handelt. Er kann etwas bewirken. Dadurch erlebt er #Selbstwirksamkeit.
Unterricht im Freien als Ergänzung zum Klassenzimmer bietet wertvolle Übungsfelder für Kompetenzen, die in Zukunft immer wichtiger werden: #Problemlösung, #Kreativität, #Eigenverantwortung oder #Durchhaltevermögen. Es geht also nicht nur um den Erwerb spezifischen Fachwissens, sondern auch um Selbstorganisationsfähigkeit, einer wichtigen Fähigkeit im Arbeitsmarkt. Diese Form von Unterricht soll ein Beitrag sein, damit die Jugendlichen ihr #Potenzial entfalten können.
Das Projekt «Kompetenzorientiertes Lernen im Wald» entstand im Rahmen meiner Zertifikatsarbeit zur Bildungsreich-Kompetenzexpertin. Ich freue mich über Rückmeldungen und unterstütze gerne alle Lehrpersonen, die ebenfalls ein Waldschulzimmer einrichten möchten.
Kontaktanfragen an mich per E-Mail
großartig, bitte weitermachen, evt. schwappt dann auch mal was davon nach Deutschland rüber.