Ein gesellschaftlicher Wandel mit veränderten Sichtweisen, was Kinder brauchen, verändert die Arbeit an unseren Schulen drastisch und stellt sie vor enorme Herausforderungen für die es Lösungen braucht. Die Abschaffung der Integration ist jedoch keine davon.

Unterschiedlichkeit soll bereichern, Individualität an unseren Schulen Platz haben. Das, die Absicht der schulischen Integration. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Schweiz im Jahr 2014 hat den Integrationsbemühungen in den vergangenen zehn Jahren weiteren Schub verliehen, der nun offenbar ins Stocken gerät.
In derselben Zeit wurde die Generation Alpha in unsere Schulen eingeschult. Sie werden von Eltern der Generation Y erzogen. Ihre Werte sind die Förderung der Individualität, Einzigartigkeit und Selbstverwirklichung ihrer Kinder, bei gleichzeitig hohen Bildungsansprüchen an die Schule. Dass bisweilen, diese schönen Ideale bis an und oft über die Grenzen der Sozialverträglichkeit zu egozentrischen Verhaltensmustern kultiviert werden, ist allen Menschen, die Schule von innen kennen, längst bekannt. Immer mehr Kinder können kaum mehr in eine soziale Gemeinschaft integriert werden. Diese an unseren Schulen inzwischen zur Realität gereifte Tatsache ist wohl der Hauptgrund, dass die Integration in Frage gestellt wird.
Wie sollen Lehrpersonen mit drei, vier egozentrischen Schülerinnen und Schüler in einer 25er Klasse zurechtkommen, wenn es deren Eltern oft mit ihren ein oder zwei Kindern zu Hause kaum mehr schaffen?
Die Lösung ist nicht die Abschaffung der Integration, weil in den neuen, respektive alten separativen Gefässen, eine Ansammlung von sozial kaum integrierbaren Kindern sitzen würden. Sie hätten dort kaum Rollenvorbilder, die ihnen zeigen würden, wie Gemeinschaft konstruktiv geht. Was es braucht, ist Elternarbeit, die greift und Know-How an den Schulen, wie Beziehungen im Klassenzimmer trotz schwierigen Situationen so lange wie möglich positiv gestaltet werden können, so wie Massnahmen, sollte es trotz allem nicht gehen, welche die Klassen und die Lehrpersonen schützen.
Das, was als mögliches Scheitern der Integration angesehen ist, hat also weniger mit der Schule an sich zu tun, sondern mit veränderten Erziehungsvorstellungen in der Gesellschaft, insbesondere in den heutigen Familien. Dies wiederum soll nicht bedeuten, dass Schulen nicht auch einen Entwicklungsbeitrag für eine bessere Integration an unseren Schulen leisten können.
Seit der Gründung der Volksschule zur Zeit der Industrialisierung werden Kinder und Jugendliche in Jahrgangsklassen unterrichtet. In diesem Normfeld werden Schülerinnen und Schüler mit demselben Schulstoff unterrichtet, geprüft und selektioniert. Fallen Kinder und Jugendliche aus diesem Normfeld, setzen Bemühungen an, sie zu fördern, zu therapieren, bisweilen sogar zu medikamentieren, um sie wieder in das Normfeld der Regelklasse zu integrieren. Spätestens seit den Langzeitstudien von Remo Largo weiss man aber, dass Kinder beim Schuleintritt bis zu vier Jahren und beim Schulaustritt bis zu sechs Jahren Entwicklungsunterschiede aufweisen.

Was sehr erstaunt ist, dass beim Stichwort Integration immer die Anpassungsleistung der Schülerinnen und Schüler an die Klassennorm gemeint ist.
Innovativ und in höchstem Masse kindgerecht wäre jedoch, wenn in Betracht gezogen werden würde, dass die Schule sich darum bemüht, ihr Normfeld so zu erweitern, dass mehr unterschiedliche Kinder darin Platz finden würden.

Damit wären wir bei sehr spannenden Schulentwicklungsthemen, bei denen die Schule noch einiges tun könnte – ja müsste, damit Integration besser gelingen würde.
Mehr zu neuen Auswegen aus dem Bildungsdilemma in «Eigentlich müsste Schule doch Freude machen»von Daniel Hunziker, 2024 HI-Verlag
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