Das Leben ist tödlich, das weiss jede(r). Corona macht uns jedoch unsere Sterblichkeit bewusster als sonst. Die einen versuchen die Bedrohung so gut wie möglich zu kontrollieren und «es» in den Griff zu bekommen. Andere sagen sich: So ist es nun mal, ich vertraue darauf, dass es gut kommt. Diese so unterschiedlichen Grundhaltungen sind genauso verbreitet wie wirksam, wenn es um Schule und Erziehung geht. Denn so wie wir mit dem Leben umgehen, so gehen wir auch mit unseren Kindern um.
Im normalen Lebensalltag, wenn alles so läuft wie immer, haben wir unsere Impulse, Verhaltens- und Reaktionsweisen. Schwierige oder so wie jetzt vielleicht sogar bedrohliche Zeiten wirken auf diese wie Verstärker. Eigene #Verhaltensmuster und solche von Mitmenschen, die uns normalerweise gar nicht auffallen, werden auf einmal deutlicher. Menschen, die wir vielleicht sehr strukturiert oder kontrolliert kennen, erleben wir ängstlich oder gar zwanghaft. Andere, die ihr Leben eher so gestalten, dass sie die Dinge nehmen wie sie kommen, sehen statt #Corona die Frühlingsblumen blühen und können all die Panik gar nicht wirklich verstehen und beklagen stattdessen die Einschränkungen in ihrer Freiheit oder sehen die demokratischen Grundrechte gefährdet.
Ich glaube in diesen Verhaltensweise zwei Polaritäten zu erkennen: #Vertrauen und #Angst. Es gibt eine Angst vor reellen Bedrohungen, nämlich dann wenn unsere existentielle Unversehrtheit in Frage gestellt ist. Diese Angst ist immer im Jetzt da, weil unmittelbar eine konkrete Bedrohung existiert. In solchen Momenten Angst zu haben ist natürlich überlebenswichtig. Dann gibt es aber auch Ängste vor nicht realen Bedrohungen. Das sind Ängste, die wir uns während unserer Biographie durch unzählige Erfahrungen angeeignet haben und in Form von #Glaubenssätzen unsere subjektive Realität mitgestalten. Solche Ängste schauen entweder in die Vergangenheit (z.B. war ich gut genug oder ich muss mich schämen, weil ich dies oder das getan habe) oder in die Zukunft (z.B. wird man mich noch mögen, werde ich genügend Geld haben, werde ich krank werden, werde ich alleine sein?)
Corona gehört für die meisten Menschen in die zweite Kategorie der nicht reellen Ängste. Natürlich sehen wir Fernsehbilder, lesen Statistiken und spüren, dass da etwas Unbekanntes sein muss, weil wir tatsächlich auch Einschränkungen in unserem Lebensalltag erfahren. Und selbstverständlich, ist dann tatsächlich jemand im Spital, muss er oder sie beatmet werden und kämpft um sein Leben, dann ist für diese Person und seine Angehörigen in der Tat eine begründete Angst vor einen existentiellen Bedrohung vorhanden - für die allermeisten von uns aber nicht.
Vertrauen ist untrennbar mit allem Lebendigen verbunden.
Denn alles, was lebendig ist, verändert sich ständig, ist nicht durch den Menschen kontrollierbar, wird laufend geboren und stirbt irgendwann wieder, auf dass wieder etwas Neues entsteht. Da ist kaum etwas durch Einwirkung und Manipulation im Einklang mit den natürlichen Prozessen zum Besseren machbar. Schlimmstenfalls bringen wir die natürliche Selbstregulation der Natur durcheinander.
Was hat das nun mit Schule und Erziehung zu tun? Mit nichts Geringeren als mit den Grundfesten, auf denen Schule und Erziehung aufbauen und wodurch Kinder und Jugendliche geprägt werden.
Basieren unsere Bildungs- und Erziehungsabsichten darauf, dass wir das Wesen der Kinder als Ausdruck des Lebendigen sehen, dann handeln wir als Eltern und Lehrpersonen im Vertrauen in die Kinder selber, in ihren Lernrhythmus, in ihre Fähigkeiten, Talente und ihre Kompetenzen.
Sehen wir dagegen in unseren Kindern zu kontrollierende und zu optimierende Objekte, die steuerbar, kontrollierbar, manipulierbar und zu vorgegebenen Zielsetzungen hin geformt werden müssen, dann sind wir angstgeleitet?
Die grosse Frage der Bildung und Erziehung lautet also:
Leitet uns Angst oder Vertrauen?
So wie wir Schule kennen, würden wir wahrscheinlich nicht sagen, dass sie auf Angst basiert. Was sie aber sicher auch nicht tut, ist auf Vertrauen aufbauen. Denn dann gäbe es weder Schulzwang, keinen vorgegebenen gleichen Lerninhalte für alle, keine Belohnungs- und Bestrafungssysteme. Ich wage es darum also trotzdem auszusprechen, dass Schule, wie wir sie kennen, angstbasiert ist.
In dieser besonderen Zeit der Schulschliessungen, treten - wie bereits erwähnt - vorhandene Haltung wie durch einen Verstärker deutlicher zum Vorschein. Ausdrucksformen der Angst lauten dann an Schulen etwa so: «Wird mein Kind den Schulstoff noch aufholen können, wenn es seit vier Wochen keine Schule mehr hat?» Oder Lehrpersonen fragen: «Was darf ich meinen Schülerinnen und Schüler nach Hause geben? Nur Dinge zum Beschäftigen oder auch neue Lerninhalte?»
Ausdrucksformen des Vertrauen sind zur Zeit die ungeheure Kreativität, mit denen begabte und vertrauenschenkende Lehrpersonen aus dem Nichts originelle und lustvolle Fernlernideen kreieren. Für sie löst die Unsicherheit der Fernlernzeit nicht Angst oder Stress aus, sondern Lust besonders kreativ und eigenständig zu sein. Auch von SchülerInnenseite gibt es zur Zeit unglaublich viele tolle Kreationen, die sie zu Hause auch ohne 45 Minuten-Lektionen aus Eigeninitiative erschaffen.
Alle Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler lade ich ein, mir ihre Best-Offs des Fernlernens zuzusenden. Gerne stelle ich diese Arbeiten in einem der nächsten Blogbeiträge vor.
Ich hoffe, die Coronazeit hilft uns zu erkennen, wo in unserem Lebensalltag uns Vertrauen und wo Angst leitet. Wenn Schulen und Elternhäuser dadurch einen grossen Schritt in Richtung einer Vertrauenshaltung ihren Kindern und dem Lernen gegenüber machen, wird dereinst diese besondere Zeit sogar ein Glücksfall sein.
Zum Vertiefen: Ein Link zu einem Interview mit Gerald Hüther zu der Frage Wie entsteht Vertrauen in unserem Gehirn.
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